#Erewhon
DER TEMPEL DES AMERIKANISCHEN KAPITALISMUS – LUXUS-SUPERMARKT ODER LIFESTYLE-KULT?
Los Angeles, 2025 – Es gibt Supermärkte, und dann gibt es Erewhon. Wer hier ein- kauft, kauft nicht einfach nur Lebensmittel – er kauft eine Vision, ein Lebensgefühl, ein Statussymbol. Der Bio-Supermarkt mit seinen ikonischen, sündhaft teuren Smoothies und perfekt kuratierten Regalen ist längst mehr als nur ein Einkaufsort: Erewhon ist ein Symbol für den Gipfel des amerikanischen Kapitalismus, eine Verkörperung dessen, wie sich Wellness, Wohlstand und Werbekampagnen zu einer exklusiven Blase verdichten. Doch hinter der glänzenden Fassade stellt sich eine Frage: Warum sieht jede Marke, die bei Erewhon gelistet wird, aus, als wäre sie von einem ehemaligen Investmentbanker gegründet worden, der nach einem spirituellen Erwachen auf dem Burning Man beschlossen hat, sein Leben der „besseren Ernährung“ zu widmen?
Die meisten Produkte, die es hier in die Regale schaffen, folgen einem fast schon vorhersehbaren Schema: ein cleanes, minimalistisches Design mit sanften Erdtönen, eine versprochene Lebensveränderung durch den Konsum und ein Preisschild, das sich nur an eine ganz bestimmte Zielgruppe richtet – Menschen, die bereit sind, für ein Glas adaptogenen Haferkakao 20 Dollar zu zahlen. Das Geschäftsmodell dahinter ist clever. Viele dieser Marken entstammen dem Direct-to-Consumer-Segment, einem Markt, in dem Start-ups ihre Waren ohne Zwischenhändler direkt an die Kunden verkaufen – mit maximalen Gewinnspannen.
Hinter diesen Produkten stehen meist Gründer mit auffallend ähnlichen Biografien: Elite-Universitäten, eine Karriere in der Finanzbranche oder Unternehmensberatung und dann – der große Sinneswandel. Statt Hedgefonds und Excel-Tabellen geht es nun um funktionelle Getränke, Superfoods und biooptimierte Snacks, die ein neues, besseres Leben versprechen.
Fast könnte man meinen, es gäbe eine Art Standardweg zur Gründung eines Erewhontauglichen Unternehmens. Zunächst eine hochkarätige Karriere bei Goldman Sachs oder McKinsey, dann eine „Erleuchtung“ – ein Yoga-Retreat in Bali, eine Ayahuasca-Zeremonie in Peru oder eine Woche auf dem Burning Man Festival. Danach folgt der radikale Exit aus dem alten Job und die Entscheidung, eine Marke zu gründen, die mehr „Purpose“ hat. Es braucht ein Produkt mit Matcha, Kollagen oder adaptogenen Pilzen, ein perfektes Narrativ über persönliche Transformation und schließlich den Pitch bei Venture-Capital-Investoren aus dem eigenen Netzwerk. Ist der Deal mit Erewhon erst unter Dach und Fach, ist der Ritterschlag als Wellness-Entrepreneur vollzogen.
Was Erewhon so faszinierend macht, ist nicht nur sein Sortiment, sondern die Tatsache, dass dieser Supermarkt perfekt demonstriert, wie sich der Kapitalismus immer wieder neu erfindet und dabei nahtlos an gesellschaftliche Trends anpasst. Luxus definiert sich heute nicht mehr nur über Sport- wagen oder Designerhandtaschen, sondern über einen $19 Hailey Bieber Smoothie oder eine $15 Flasche mit Mondsteininfundiertem Wasser. Dabei inszeniert sich die Wellness-Industrie gerne als eine Art Gegenbewegung zum klassischen Kapitalismus – mit Schlagwörtern wie Selfcare, Balance und Achtsamkeit –, doch in Wahrheit ist sie eine seiner perfidesten Weiterentwicklungen. Denn wer kann sich gesunde Ernährung leis- ten, wenn ein Wochenendeinkauf bei Erew- hon schnell mehrere hundert Dollar kostet? Erewhon ist nicht nur ein Supermarkt, sondern ein Sinnbild dafür, wie Wohlstand sich heute ma- nifestiert. Es geht nicht mehr nur um offensichtliche Statussymbole, sondern um den exklusiven Zugang zu einem vermeintlich besseren, gesünderen Lebensstil. Während in Marketing- kampagnen von Nachhaltigkeit, Gesundheit und Transparenz die Rede ist, bleibt die Realität eine altbekannte: Wer das nötige Kleingeld hat, kann sich die „optimierte“ Version des Lebens leisten – und wer nicht, bleibt außen vor. Erewhon ist der ultimative Beweis dafür, dass der Kapitalis- mus sich perfekt anpassen kann. Denn am Ende ist es nicht nur ein Supermarktes ist ein Businessmodell, das Wohlstand als Wellness tarnt.